Im Nachgang der Konferenz der PFI Deutschland haben wir die folgenden Informationen zusammengestellt:
Alternative Spiritualität in der Gesellschaft (Forts.)
Die einen sprechen im Hinblick auf Deutschland (seit den 70er Jahren) vom ´Ende der Religion`, die anderen (seit den 90ern) von einer ´Wiederkehr der Religion`. Noch nie war die Zahl der Menschen, die einen Glauben für überflüssig halten, in Deutschland so groß wie heute und noch nie war Religion in Deutschland in so vielen Facetten sichtbar wie heute. Neben den beiden christlichen Konfessionen gehört wieder ein lebendiges Judentum zu Deutschland, der Islam ist dazugekommen, außerdem viele kleinere Gemeinschaften und Bewegungen, darunter auch die, die als ´Esoterik` und/oder ´alternative Spiritualität` und ´Neue Religionen` zugeordnet werden.
Anders als in früheren Zeiten übernimmt der Einzelne heute in den westlichen Gesellschaften nicht mehr fraglos eine „ererbte“ Religion bzw. ist häufig ohne Religion aufgewachsen; insbesondere wenn er/sie in Deutschland groß geworden ist. Die individuelle Sinnsuche, die zögerliche, vage oder auch entschiedene (Nicht-)Verortung innerhalb der Vielfalt der möglichen Überzeugungen ist zum Normalfall geworden, sie gilt heute als Teil der persönlichen Identitätsfindung. Übergänge von einer sinnstiftenden Überzeugung zu einer anderen können im Laufe des Lebens vorkommen, auch mehrfach.
Dies ist möglich, weil das allgemeine Bildungsniveau seit den 70er Jahren erheblich gestiegen ist, weil Kenntnisse über alte und neue religiöser Traditionen und Praktiken weltweit, sowie über andere Sinnangebote in einem nie dagewesenen Maße abrufbar wurden, das gilt ebenso für wissenschaftliche Erkenntnisse Das Bewusstsein für religiöse Pluralität hat zugenommen, der Staat verhält sich mehr oder weniger neutral und die Menschen lassen sich nicht mehr von Kirche oder Partei vorschreiben, wie sie zu leben haben.
Wie kam die alternative Spiritualität in die Gesellschaft?
Neue Religiöse Bewegungen, zunächst unter dem Sammelbegriff „New Age“-Bewegung zusammengefasst (z. T. auch als „Jugendkulte“ bezeichnet, als „Psychosekten“ verdächtig gemacht), entstehen in den 60er Jahren vor allem in den USA, sie erreichen Anfang der 70er Jahre Großbritannien und in der 2. Hälfte der 70er die Bundesrepublik Deutschland.
Inhaltlich geht es diesen Bewegungen vor allem um Lehren und Praktiken aus Fernost, um naturreligiöse Vorstellungen aus vielen indigenen Kulturen, um Lehren der europäischen esoterischen Tradition sowie um moderne physio- und psychotherapeutische Praktiken. Die Bewegung wird von sehr vielen einzelnen kleinen, oft nicht allzu festen Gruppierungen und Organisationen getragen, die teils in Netzwerken (also hierarchiefrei) zusammenarbeiten, teils jede Form übergreifender Organisation ablehnen.
Bei aller Vielfalt und Unübersichtlichkeit zeichnen sich die Neuen Religiösen Bewegungen durch zwei Merkmale aus: ihre Lehren und Praktiken sind synkretistisch und das Subjekt steht im Mittelpunkt; die Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen ist ihr Ziel.
Sie treten weniger durch fassbare Strukturen in Erscheinung, Organisation und Hierarchie lehnen sie eher ab. Sie manifestieren sich in der Gesellschaft vielmehr durch ihre besonderen Wissens- und Erfahrungs- und Praxisformen.
Und diese Formen tauchen dann in den 80er Jahren unter Sammelbegriffen wie „Esoterik“ und „Spiritualität“ nicht mehr ausschließlich in subkulturellen Zirkeln auf, sondern dringen in die Mitte der Gesellschaft vor. Themen wie Alternative Medizin, Akupunktur, Yoga, Meditation, Astrologie sowie auch esoterische Ratgeberbücher beginnen gesellschaftsfähig zu werden. Der Gegensatz zum herkömmlichen christlichen Weltbild ist dabei kaum zu übersehen, wird aber wenig diskutiert. Manche der neuen Themen finden breite Akzeptanz in bestimmten Berufsgruppen und werden heute nur noch bedingt als „alternativ“ wahrgenommen.
Es handelt sich (etwa seit den 90ern) „um ein verbreitetes, aber lange Zeit institutionell nicht beglaubigtes Wissen, das von den offiziell anerkannten Systemen der Wissensvermittlung gemieden wird (oder wurde)“ **.
Ebenso werden die alternativen Religionen und die alternative Spiritualität bis heute immer noch teilweise von der Religionswissenschaft gemieden und von den etablierten Religionsgemeinschaften erst recht. Es sind vor allem die fluiden Organisationsformen und die „weichen“ Inhalte, die es diesen traditionell eher am Schriftenvergleich ausgerichteten Institutionen schwer machen, ein Phänomen zu fassen, das sich besser in soziologischen Kategorien fassen lässt. – Eine staatliche Anerkennung ist angesichts des geringen Organisationsgrads in der alternativ spirituellen „esoterischen“ Szene nach geltendem deutschem Recht nicht möglich.
Der skizzierte Weg der alternativen Spiritualität aus der Subkultur hinein in den gesellschaftlichen Mainstream geht mit einer erheblichen Kommerzialisierung einher, zum einen durch die o.g. Akzeptanz in bestimmten ohnehin praktizierenden Berufsgruppen, zum anderen, weil immer mehr Anbieter alternativ-spiritueller Lehren als selbstständige Unternehmer auf den Markt kommen. Sinn- und Heilungsangebote werden nun auch mit Hinblick auf eine breite Nachfrage gestaltet; eine gewisse Professionalisierung setzt ein. In der lockeren, alltagstauglichen Form der „Publikums- oder Klientenkultur“ werden heute geschätzte 2 bis 3 Millionen Anhänger/innen* der alternativ spirituellen bzw. „esoterischen“ Szene zugerechnet. Ganzheitliche Zugehörigkeit mit entsprechende konsequenter Lebensweise wird jedoch weiterhin von Engagierten in Gruppen und Vereinen oder auch allein praktiziert und gibt ihre Impulse in die Weite der alternativ-spirituellen Szene.
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* siehe dazu in der Untersuchung des REMID-Instituts unter „Religionspluralismus“: http://remid.de/info_zahlen_grafik/
** zitiert nach Knoblauch in: Fluide Religion, S. 154
Die Fellowship of Isis unschwer in dieser kurzen Skizze zu verorten: Sie wurde 1976 in Irland gegründet, zu einer Zeit also, als die „New Age Bewegung“ gerade im Entstehen begriffen war. Und obwohl die FOI mit den 3 Gründern charismatische Führungspersönlichkeiten hatte, entspricht ihre innere Organisation eher einem Netzwerk als einer hierarchischen Struktur und sie lehnt jede Bindung nach außen, mit anderen Organisationen ab, stellt aber ihren Mitgliedern frei, solche Bindungen einzugehen. Die FOI ist inhaltlich dezidiert synkretistisch, ihre Quellen liegen zum einen im Order of The Golden Dawn, der ein Hort der europäischen hermetischen Tradition war, zum anderen in den Überlieferungen alter Völker, insbesondere der Kelten in Britannien, bzw. in dem Wissen, das durch die Ägyptologie wieder zugänglich wurde. Die Praktiken der FOI dienen der Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen.
Nur von der Kommerzialisierung ihrer Praktiken distanziert sich die FOI ausdrücklich. Der Weg der Göttin, wie die FOI ihn versteht, ist auf ganzheitliche Annahme ausgerichtet, kurzfristige Kundenbindungen passen nicht dazu. Der ganzheitliche Anspruch zusammen mit den Prinzipien der absoluten Freiwilligkeit und des No Budget sind bestimmend für die Stellung, die die FOI in der Gesellschaft einzunehmen vermag – und sie machen den besonderen Charme der FOI aus.
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Literatur:
Hubert Knoblauch: Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, 2009
Dorothea Lüddeckens und Rafael Walthert (Hg.): Fluide Religion. Neue Religiöse Bewegungen im Wandel, Theoretische und empirische Systematisierungen, 2010
Thomas Großbölting: Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945, 2013
Detlef Pollack, Gergely Rosta: Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich, 2015